Umgang  mit  Sterben,  Tod  und  Trauer

Hilfen auf dem Weg des Abschieds und der Trauer


1. Einleitung

 

Leben und Tod sind untrennbar miteinander verbunden. Dennoch gehören in unserer Gesellschaft Sterben, Tod und Trauer noch stets zu den Tabu-Themen. Sich damit zu befassen, empfinden die meisten Menschen als schwierig und unangenehm, und sie fühlen sich dabei unsicher. Unter dem Aspekt einer Krankheit wie Huntington, die derzeit nicht heilbar ist, sollte diese Problematik jedoch für keine Huntington-Familie ein Tabu-Thema sein, sondern takt- und respektvoll, aber offen angesprochen werden können. Dies gilt für Betroffene wie für Angehörige. Stattdessen werden Erstere mit ihren Gedanken, Gefühlen und Ängsten häufig allein gelassen, obwohl das Sterben absehbar wird. Letzteren fehlen oft wünschenswerte Information und Unterstützung, obwohl mit dem nahenden Ableben eines lieben Menschen möglicherweise eine Welt zusammenbricht. Und beide, Kranke und ihre Angehörigen, benötigen gerade in dieser letzten und schweren Zeit besonders viel Zuwendung, menschliche Wärme und Aufmerksamkeit. Immerhin wird durch das stetige Voranschreiten der Huntington-Krankheit den Beteiligten Zeit gewährt, sich innerlich auf das Kommende und den Verlust vorzubereiten. Letzterer tritt bereits im Verlauf der Erkrankung – gleichsam in vielen Einzelschritten – wieder und wieder dann ein, wenn die Funktionen des Betroffenen nachlassen und eine Fähigkeit nach der anderen schwindet. In gleicher Weise findet auch ganz allmählich der Abschied statt. Dieses vorhersehbare Geschehen kann das Sprechen über den Tod erleichtern. Das vorliegende Infoblatt soll dazu beitragen, den Weg des Abschieds und der Trauer zu begleiten sowie Hilfen aufzuzeigen, diese tragische Situation zu meistern.

 

2. Umgang mit dem Tod

 

2.1 Häufige Reaktionen

 

Das Phänomen Tod verschwindet immer mehr aus unserem Alltag. In früheren Zeiten, in denen noch mehrere Generationen mit zahlreichen Kindern unter einem Dach lebten, die Kindersterblichkeit hoch lag und die Lebenserwartung niedrig, war das Thema Tod allgegenwärtig und das Sterben wurde von allen Angehörigen begleitet. Dies geschieht in den heutigen Kleinfamilien nur selten, sofern das Sterben nicht ohnehin im Krankenhausbett stattfindet. Demzufolge stellt der Tod für viele Menschen eine unbekannte Bedrohung dar; er löst Ängste aus, erinnert an die eigene Vergänglichkeit und konfrontiert mit dem eigenen Tod. Die Endlichkeit des eigenen Lebens zu begreifen, ist für viele erschreckend und unerbittlich. Der Verlust naher Angehöriger – seien es Großeltern, Eltern, der Lebenspartner oder gar ein Kind – bedeutet einen dramatischen Einschnitt in die Familie. Dieser kann gravierende Veränderungen mit sich bringen, zumal, wenn der Ernährer einer Familie verstirbt, und er vermag bei den Hinterbliebenen unterschiedlichste Reaktionen auszulösen.

 

Auf den Verlust eines geliebten Angehörigen reagiert jeder Mensch verschieden. Trotzdem gibt es einige Verhaltensweisen, die bei einem Großteil der Betroffenen ähnlich sind. Im ersten Augenblick reagieren die meisten mit einer Art Schockzustand. Der Trauernde fühlt sich empfindungslos und wie gelähmt. Er ist nicht imstande, die Tatsache des Todes zu fassen und will sie nicht wahrhaben. Er sucht für den erlittenen Verlust verzweifelt nach einer Erklärung: „Warum musste er (oder sie) sterben?“, „Warum musste es meine Familie treffen?“, „Warum mein Kind (Lebenspartner, etc.) und nicht ich?“, „Warum jetzt?“, „Warum lässt Gott das zu?“. Dies sind jedoch Fragen, die man über den Verstand kaum zu klären vermag und die zumeist offenbleiben.

 

In der Folge wird der Hinterbliebene abwechselnd überwältigt von Gefühlen verschiedenster Art wie Angst, Einsamkeit, Freudlosigkeit, Ohnmacht, Schmerz, Schuld, Selbstmitleid, Trauer, Verzweiflung, Wut und Zorn. Man fühlt sich im Stich gelassen und protestiert innerlich gegen die Realität des Todes. Manche Trauernden werden dadurch körperlich krank, leiden unter Schlafproblemen, Nervosität, Erschöpfung, Konzentrationsmangel, Selbstzweifeln, innerer Unruhe, Orientierungslosigkeit, mangelnder Energie oder Appetitlosigkeit. Sogar Herzrasen, Kopfschmerzen, Bluthochdruck oder Asthma zählen zu den typischen Beschwerden der Trauerphase.

 

Alsdann beruhigen sich gewöhnlich die überfließenden Gefühle und Reaktionen. Neben die Trauer tritt Ernüchterung und tröstende Gedanken werden angenommen. Wenn der Verstorbene schwer erkrankt war und gepflegt werden musste, kann verständlicherweise sogar Erleichterung entstehen: teils, weil dieser von seinem Leiden erlöst wurde, teils, weil einen sterbenden Angehörigen zu pflegen eine enorme physische und psychische Belastung darstellt. Letztlich wird man sich nach und nach bewusst, dass es den vermissten Menschen tatsächlich nicht mehr gibt. Erst wenn dieser Verlust akzeptiert wird, vermag der Hinterbliebene in seinen gewohnten Lebensrhythmus zurückzufinden beziehungsweise diesen neu zu gestalten und sich neu zu orientieren.

 

Die beispielhaft skizzierten Reaktionen können nach Reihenfolge und Intensität sehr unterschiedlich ausfallen. Sie sind keineswegs deutlich voneinander zu trennen und sie stellen auch kein gradliniges Aufeinanderfolgen dar. Es gibt keine Regeln oder Gesetzmäßigkeiten. Vielmehr vermischen sie sich, gehen ineinander über und wechseln einander ab. Auch die Dauer ist sehr verschieden. Sie kann kurz sein und sich auf wenige Tage beschränken, aber auch Wochen und Monate andauern. Selbst bei Personen, die glauben, über den Verlust hinweggekommen zu sein, können noch nach Jahren erneut heftige Gefühlsausbrüche auftreten. Dazwischen mag es Tage geben, an denen man wie früher Stärke und Energie verspürt, und dann solche, in welchen man sich hilf- und haltlos fühlt. Alles hängt zumeist von der Persönlichkeit des Betroffenen sowie von seiner Beziehung zum Verstorbenen ab.

 

2.2 Trauer

 

Wenn ein geliebter Mensch stirbt, bedeutet dies einen großen und tiefgreifenden Verlust. Trauern ist der Ausdruck dieses Verlustes und die Anpassung daran. Trauer ist notwendig, um den Verlust und den damit verbundenen Schmerz verarbeiten zu können. Man spricht deshalb auch von einer Bewältigungsreaktion. Trauer hat einen tiefen Einfluss auf unsere Gefühle, unsere Gedanken und unser Verhalten – bis hin zu den genannten körperlichen Reaktionen und Beschwerden. Trauer ist ein ganz normales Gefühl. Sie gehört genauso zum Leben wie beispielsweise die Fähigkeit, Freude zu empfinden. Sie sollte daher nicht unterdrückt, aber auch nicht unendlich lange ausgedehnt werden. Trauer ist eine vollkommen individuelle Angelegenheit. Jeder trauert anders und jeder erlebt sie in ganz unterschiedlicher Weise. Sie kann sehr anstrengend und schmerzhaft sein und Gefühle auslösen, mit denen man nicht gerechnet und die man zuvor nicht erlebt hat, zum Beispiel Verzweiflung oder Depression. Trauer ist auch imstande, jegliches Interesse am Leben oder den Mut für den Alltag zu nehmen. Dieses alles sind verständliche Reaktionen auf einen Verlust. Doch Trauer vermag auch Positives zu bewirken, indem man beispielsweise erkennt, was im Leben wesentlich ist, bewusster lebt und neue Maßstäbe an seinen Alltag legt. Bis dies allerdings geschieht, bedarf es einer Weile, denn Trauer braucht Zeit.

 

Kurz nach einem Todesfall geht die Umgebung meist sehr verständnisvoll mit den Betroffenen um. Manche orientieren sich dabei an den Trauerphasen der Religionen. So endet die engere Trauerzeit im Christentum sechs Wochen nach der Bestattung, im Islam 40 Tage und im Judentum 30 Tage danach. Früher gestand man den Angehörigen auch einen längeren Zeitraum für das Abschiednehmen zu, das sogenannte Trauerjahr, denn generell wird in unserem Kulturkreis im Sterbefall Trauer erwartet. Doch spätestens, wenn das Jahr vorüber ist, erwartet die Gesellschaft von den Trauernden, dass sie zur Normalität zurückkehren und dass sie wieder so werden, wie man sie vorher kannte. Die Mehrheit der Hinterbliebenen erholt sich tatsächlich bereits nach einigen Wochen. Das ist jedoch nicht immer möglich. Auch endet das Verlustgefühl nicht automatisch mit dem Trauerjahr, denn der Verlust eines geliebten Menschen vermag eine so tiefe Wunde entstehen zu lassen, dass diese lange nicht heilt. Trauer und Abschied können daher sehr lang andauernde Prozesse sein, die sich bei jedem Menschen unterschiedlich hinziehen. Mancher trauert Jahre. Dabei gibt es bestimmte Sachlagen, die die Trauer erschweren und die Zeit des Trauerns stark verlängern können, insbesondere der Tod eines eigenen Kindes, ein plötzliches, unerwartetes Ableben ohne die Gelegenheit, Abschied nehmen zu können, mehrere Trauerfälle innerhalb kürzerer Zeit oder der Tod durch Suizid. Für die Mitmenschen ist eine lange Trauerzeit nicht immer nachvollziehbar und sie beginnen, den Hinterbliebenen zu meiden, weil sie mit Tod und Trauer nicht umgehen können. Für den einen trauert man zu wenig, für den anderen zu viel. Doch für Trauer gibt es schließlich keinen Standard-Zeitplan und es ist nicht möglich, den Trauerprozess zu beschleunigen. Es ist daher wichtig, sich zu seinen Gefühlen zu bekennen und sie nach eigenem Vermögen zu verarbeiten. Dazu benötigen die trauernde Familie sowie ihr Umfeld Zeit und Geduld.

 

Bei den meisten Menschen verläuft die Intensität der Trauer in einer Art Auf-und-Ab-Bewegung. Zu manchen Zeiten münden die Gedanken an Schmerz und Verlust sowie dessen Tragweite und Konsequenzen in ein Stimmungstief. Zu anderen Zeiten gelingt es, sich wieder ganz auf das Umfeld, den Alltag und die Gegenwart zu konzentrieren und die Stimmung hellt sich auf. Diese Stimmungsumschwünge helfen, sich zunehmend an die veränderte Situation zu gewöhnen. Sie machen die Trauer nach und nach erträglich und tragen dazu bei, sie allmählich zu überwinden. Menschen mit starker Persönlichkeit und seelischer Widerstandskraft gelingt dieser Prozess schneller.

 

3. Die Betroffenen

 

3.1 Der Patient

 

Bei erwachsenen Huntington-Patienten kann man sicherlich davon ausgehen, dass ihnen bewusst ist, dass die Krankheit stetig fortschreitet und eine Heilung derzeit nicht möglich ist. Wenn Menschen demnach erkennen, dass sie sterben werden, dann befinden sie sich in einer extremen Lebenssituation. Sofern der Betroffene noch nicht eine spätere Phase der Erkrankung erreicht hat (Verlust des Sprechvermögens, Demenz, Koma), kommen in dieser Lage häufig starke Gemütsbewegungen zum Ausbruch: Angst, Trauer, Verzweiflung, Wut. Ein Teil der für die Krankheit symptomatischen Aggressionen ist möglicherweise auch in der Erkenntnis dieser Lebenslage begründet. Dabei kann sich die Stimmungslage rasch ändern. Neben Zeiten, in denen die Patienten den bevorstehenden Tod akzeptieren und Frieden gefunden haben, mag es auch solche geben, in denen sie sich wehren, kritischen Fragen ausweichen oder gar das Sterben komplett verleugnen und über zukünftige Vorhaben nachdenken. Zu Letzterem mag bei den Angehörigen das Gefühl entstehen, der Sterbende habe nicht verstanden, was auf ihn zukommt. Tatsächlich ist dies ein unbewusster Schutz- und Abwehrmechanismus vor der Wahrheit, den man im Allgemeinen respektieren sollte, es sei denn, dass noch wichtige Entscheidungen durch den Kranken zu treffen sind. Umgekehrt ist vielleicht der Erkrankte bereit zu gehen, aber der Angehörige ist nicht fähig, ihn loszulassen. Und im Weiteren tauchen drängende Fragen auf: „Wieviel Zeit verbleibt mir?“, „Werde ich leiden?“, „Werde ich Schmerzen haben?“, „Falle ich den Angehörigen zur Last?“, „Was muss ich noch erledigen?“.

 

Mitunter versuchen Kranke, mit ihren Kindern, ihrem Partner oder anderen Angehörigen nicht über ihren nahenden Tod zu sprechen, um die Familie vor zusätzlichen Belastungen zu schützen. Aus den gleichen Beweggründen möchten Angehörige die Bedrohung durch den Tod von ihrem geliebten Menschen fernhalten. Die Tatsache des bevorstehenden Todes sollte jedoch nicht tabuisiert werden. Es ist in aller Regel für beide Seiten hilfreich, wenn gemeinsam und offen über das Sterben, den Tod, den anstehenden Abschied gesprochen wird. Die gut gemeinte gegenseitige Schonung kann nämlich bei den Angehörigen nach dem Tod zu dem bohrenden Gefühl führen, man habe nicht alles gesagt. Dadurch besteht die Gefahr einer verlängerten Trauer. Wenn man dagegen als Angehöriger dem Kranken das Gefühl zu vermitteln imstande ist, dass man als Ansprechpartner für alle seine Bedürfnisse und Ängste da ist, erzeugt man das in dieser letzten Lebensphase überaus wichtige Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Verbundenheit.

 

Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, als Angehöriger initiativ zu werden und die Sachlage, die Ängste und Sorgen anzusprechen. Man kann ein offenes Gespräch mit dem Patienten suchen, ohne ihm Gespräche über den Tod aufzudrängen. Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit ermöglichen es Angehörigen wie Betroffenen, offene Fragen zu klären. Dazu mögen beispielsweise die Einschätzung der gegenwärtigen Situation zählen, die Aussöhnung früherer Zwistigkeiten, die Bereinigung bestehender Konflikte oder die Suche nach spirituellen Antworten. In jedem Fall sollte der Betroffene die Möglichkeit erhalten, formelle Dinge beizeiten zu regeln (insbesondere Bestattung, Nachlass) und sich von Freunden und Familienmitgliedern zu verabschieden. Dies gibt beiden Seiten mehr Sicherheit und mehr Nähe. Alles, was in dieser letzten Lebensphase zum gemeinsamen inneren Frieden beiträgt, ist erwähnenswert.

 

So wünschenswert das Aufrechterhalten einer Kommunikation in dieser Phase sein mag, so sollte man dennoch akzeptieren, wenn der Kranke bestimmte Themen nicht mit einem Angehörigen aufgreifen möchte. Stattdessen wünscht er sich als Gesprächspartner vielleicht einen Außenstehenden, beispielsweise einen Nachbarn, einen Kollegen oder einen Sterbehelfer. Auch die räumliche Distanz zum Gesprächspartner (zum Beispiel über Telefon oder Skype) mag es dem Sterbenden im Einzelfall erleichtern, heikle Dinge anzusprechen. Im Übrigen muss nicht immer alles gesagt werden. Und wenn zwischen den Angehörigen und der erkrankten Person keine sprachliche Kommunikation mehr möglich ist – dies dürfte in den späteren Phasen der Huntington-Krankheit die Regel sein – kommt dem körperlichen Kontakt eine große Bedeutung zu. Blicke, Gesten, Streicheln oder andere Zärtlichkeiten vermitteln dem Sterbenden das Gefühl von Nähe, Liebe und Geborgenheit und signalisieren ihm, dass man da ist und er nicht alleine. Nicht große Worte sind wichtig, sondern das Mitfühlen und Miterleben.

 

3.2 Die Angehörigen

 

Der Tod eines geliebten Menschen, sei es der Vater, die Mutter, ein Kind oder eine andere Bezugsperson, betrifft die ganze Familie. Er vermag deren Struktur, die Rollen- und Aufgabenverteilung sowie das gesamte Beziehungsgeflecht zu verändern. Gleichzeitig markiert er einen gravierenden Einschnitt, denn das verstorbene Familienmitglied hinterlässt eine Lücke, die kaum zu schließen ist. Jedes einzelne Familienmitglied muss lernen, mit diesem Verlust auf seine Weise umzugehen. Für die meisten ist ein derart unwiederbringlicher Verlust eine gefühlsmäßige Ausnahmesituation. Möglicherweise fühlt man – wie unter Schock – zunächst gar nichts. Irgendwann aber brechen Gefühle durch. Der Schmerz ist riesig, er erstickt jede Freude und es scheint, als könnten unbeschwerte und fröhliche Zeiten nie zurückkehren. Viele Hinterbliebene sind überwältigt von Angst, Wut oder Verzweiflung. Letztere kann so groß sein, dass manch einer mit der Vorstellung spielt, selbst nicht mehr leben zu wollen. Plötzlich ist nichts mehr so, wie es war. Der Alltag gerät aus den Fugen, der Glaube an eine Zukunft schwindet, Sinn, Ziel und Inhalt des Lebens werden in Frage gestellt. Die Gedanken drehen sich fast ausschließlich um den Verstorbenen und die Vorstellung, wie es ohne ihn weitergehen soll. Manche führen im Geiste Gespräche mit ihm. Diese innerliche Verbundenheit kann gleichwohl helfen, mit der Trauer besser umzugehen.

 

3.3 Der Partner

 

Das zuvor Gesagte gilt in weit größerem Maße für den überlebenden Partner. Für ihn wirkt sich das Ableben des Lebensgefährten einschneidender aus, als für andere Familienmitglieder. Er wird in eine völlig neue Lebenssituation gestellt. Er verliert den Lebensbegleiter, den Beschützer, den Geliebten, den Vertrauten, den Vater der Kinder und gegebenenfalls den Ernährer der Familie. In der Gesellschaft verliert er den Status eines Verheirateten und wird Witwer. Gab es zuvor mit dem Partner stets einen vertrauten Lebensrhythmus und gemeinsame Unternehmungen, folgt nun ein Leben ohne ihn. Dies bürdet ihm alle Last auf: Verantwortung für das Großziehen der Kinder, für die finanzielle Absicherung und für alle sonstigen Lebensentscheidungen. Er muss lernen, ohne den Partner auszukommen und ein ganz anderes Leben zu führen, als in der Vergangenheit. Und schließlich wird er sich wieder anderen Menschen öffnen müssen.

 

3.4 Die Eltern

 

Es ist das Schlimmste, was Eltern passieren kann: das eigene Kind stirbt. Nichts erschüttert sie mehr. Niemand, der nicht selbst ein Kind verloren hat, vermag sich vorzustellen, was Eltern dadurch widerfährt. Dass Kinder irgendwann ihre Eltern verlieren, ist der Lauf der Zeit. Wenn aber umgekehrt ein Kind zuerst stirbt, wird die natürliche Reihenfolge Alt vor Jung umgekehrt. Der Tod eines Kindes erscheint daher für die Hinterbliebenen ebenso unverständlich wie ungerecht. Unabhängig davon, wie alt das Kind war oder unter welchen Umständen es gestorben ist – man fühlt sich hilflos. Und ob der Tod des Kindes vorhersehbar war, wie es nach der Diagnose Huntington der Fall ist, oder ob er plötzlich eintrat, spielt gleichfalls keine Rolle. Das Leid ist immer gleich groß und nicht selten zerbricht an diesem Unglück eine Familie.

 

Die schwere Zeit voll Hoffen und Bangen beginnt bereits, wenn das Kind erkrankt. Jede noch so kleine vermeintliche Verbesserung des Zustandes wird freudig registriert, jedes Symptom der Verschlechterung mit Enttäuschung zur Kenntnis genommen. Und selbst, wenn man wegen des bekannten Verlaufs der Krankheit Zeit hatte, sich psychisch auf den Abschied vorzubereiten, bleibt stets ein kleiner Funken Hoffnung bestehen, dass vielleicht doch noch zu Lebzeiten ein wirksames Medikament entwickelt wird. Unterdessen müssen sich die Eltern medizinische Expertise aneignen, damit sie den Fortgang der Krankheit verstehen lernen und das notwendige Wissen über Betreuung, Pflege und vieles mehr erwerben. Auch die Überlegung, das Kind an der Situation teilhaben zu lassen, um ihm Halt und Unterstützung zu geben, stellt eine hohe Anforderung an ihr Verantwortungsbewusstsein dar. Dabei verbleibt ihnen stets ein gewisser Unsicherheitsfaktor, ob sie alles richtig machen. Der Zweifel daran kann zu stark belastenden Schuldgefühlen führen.

 

Viele Eltern versuchen, ihr Leben auf den Patienten einzustellen, zu Lasten ihres eigenen, normalen Lebens. Oft sind sie dann so mit der Sachlage gebunden, dass sie, sofern vorhanden, auch den anderen Kindern kaum noch gerecht werden können. Zu alledem sind sie gezwungen, sich mit dem Tod allgemein und dem des eigenen Kindes speziell auseinanderzusetzen. Dabei kann leicht die Angst vor dem eigenen Sterben aufleben. Gerade im Alter, wenn man selbst auf Hilfe angewiesen sein wird, ist ein Kind eine wichtige Stütze. Sich darauf nicht mehr verlassen zu können, bedeutet einen folgenschweren Verlust.

 

3.5 Die Kinder

 

Wenn Kinder selbst an Huntington erkranken, werden sie mit dem Tod als Betroffene konfrontiert; anderenfalls als Angehörige. Da Ersteres eher selten vorkommt, soll es nachstehend nur um die Angehörigensituation gehen. In dieser Lage reagieren Kinder und Jugendliche auf den Verlust eines nahestehenden Menschen ganz anders als Erwachsene. Ein Leben ohne den Verstorbenen übersteigt ihre Vorstellungskraft. Ihre Trauer geht tief – und ist trotzdem oft schwer zu erkennen. Sie können sich emotional meist schlechter mit dem Schicksal auseinandersetzen. Sie reagieren sprunghaft: in einem Moment sind sie tieftraurig, im nächsten fröhlich und vergnügt. Das vermittelt den falschen Eindruck, als gehe es ihnen gut. Wie können also Eltern mit ihren Kindern über diese Situation reden und sie in ihrer Trauer auffangen?

 

Genau wie Erwachsene reagieren Kinder sehr individuell auf einen Todesfall. Ausmaß, Art und Weise der Trauer hängen weitgehend von ihrem Alter ab, von ihrer Beziehung zum Verstorbenen, von dessen Alter (Kind, Erwachsener) sowie der Todesursache (zum Beispiel Krankheit, Behinderung, Unfall). In der Regel erleben sie Verlust und Trauer sehr intensiv. Sie bedürfen daher besonders viel Aufmerksamkeit, denn Sie leiden, sind verwirrt, und ihre Not wird häufig übersehen. Es ist daher ratsam, Kinder beizeiten auf einen Todesfall vorzubereiten, zumal dieser in Huntington-Familien eines Tages zu erwarten ist. Diese Vorsorge ist sogar bei Kleineren möglich, indem man über den Kreislauf des Lebens spricht, in welchem der Tod in einer Reihe ganz natürlicher Vorgänge steht. Dabei mag es helfen, um den Umgang mit dem Lebensende besser zu erfassen, wenn ein Kind das Ableben und die Zeremonie des Abschieds bei einer Person miterlebt, die der Familie weniger nahesteht und sie emotional weniger berührt (Bekanntenkreis, entfernte Verwandte, auch ein Haustier), man dennoch trauert. Unter diesem Aspekt kann man ein Kind auch die Trauer anderer miterleben lassen.

 

Die Mitnahme eines Kindes zu einer Trauerfeier oder ans Grab hängt jedoch von dessen Alter ab. Während Kleinere von einer Bestattung stark verunsichert werden können, besteht diese Gefahr bei Schulkindern eher nicht. Diese älteren Kinder kann man selbst entscheiden lassen, ob sie an einem Begräbnis teilnehmen möchten oder nicht. In jedem Fall sollte eine Begleitperson da sein, die nicht von der Trauer überwältigt, sondern für das Kind da ist, ihm den Ablauf der Beisetzung erläutert, auf dessen Reaktionen achtet und mit ihm, wenn das Kind erkennbar überfordert wird, die Zeremonie verlässt. In diesem Fall, oder wenn Kinder zur Beerdigung nicht mitgegangen sind, können andere Gelegenheiten genutzt werden, gemeinsam das Grab zu besuchen um zum Beispiel eine Blume dazulassen und um schöne Erinnerungen wachzurufen.

 

Geschwister haben häufig eine wesentlich engere Beziehung zueinander, als es nach außen hin scheint. Insofern haben zurückbleibende Geschwisterkinder eine große Last zu tragen. Einerseits müssen sie mit dem Tod der Schwester oder des Bruders zurechtkommen. Darüber hinaus erleben sie ihre Eltern in einer Ausnahmesituation der Trauer. Wenn diese in ihrem eigenen Leid den Kindern nicht den nötigen Halt geben können und vielleicht gar nicht spüren, wie ihre Kinder trauern, dann bleiben diese mit der schwierigen Situation auf sich selbst gestellt. Hier bedarf es dringend anderer Personen, die sich zum Ausgleich für die fehlenden Eltern kümmern – in erster Linie Großeltern, Nachbarn, Freunde.

 

Des Weiteren brauchen zurückbleibende Geschwisterkinder dringend Unterstützung, wenn sie unter Schuldgefühlen leiden. Oft denken (jüngere) Kinder, dass der Tod etwas damit zu tun habe, dass sie sich falsch verhalten hätten, weil sie beispielsweise mit dem verstorbenen Bruder oder der Schwester gestritten oder ihm etwas Schlechtes gewünscht haben und nun glauben, dass der Streit die Ursache für den Tod gewesen sei. Ein solches Missverständnis, nämlich dass Gedanken einen Unfall oder gar den Tod bewirken können, muss sofort ausgeräumt werden, denn es vermag das Kind ein Leben lang zu bedrücken. Zuweilen verbergen Geschwisterkinder auch ihre Trauer, weil sie ihre Eltern nicht zusätzlich belasten wollen. Sie müssen aber die Möglichkeit haben, ihren verstorbenen Bruder oder die Schwester in Erinnerung zu behalten.

 

Häufig weinen Kinder seltener als Erwachsene und sie können ihre Gefühle schlechter in Worte fassen. Das kann den falschen Eindruck erwecken, dass sie die Krankheit oder den Tod eines Angehörigen bereits verarbeitet hätten. Dies ist meist nicht der Fall. Den Tod mitzuerleben ist für Kinder so überwältigend, dass sie sich zeitweilig verhalten können, als sei gar nichts geschehen. Zu anderer Gelegenheit benehmen sie sich vielleicht überdreht und albern oder tragen zumindest ihre Trauer nicht nach außen, auch um im Freundeskreis nicht aufzufallen. Diese Schutzfunktion hilft ihnen, mit dem Schmerz und der Realität leichter fertig zu werden. Allerdings vermag ein offener Umgang mit dem Todesfall einem Kind die Belastung dieser Situation dadurch zu erleichtern, dass es erfährt, es ist nicht der Einzige, dem dies passiert. Ansonsten reagieren Kinder eher mit Angst, mit depressiven Symptomen, mit anderen Verhaltensauffälligkeiten oder gar körperlichen Beschwerden. Auch äußern sie Wut gegenüber dem Verstorbenen oder werden aggressiv gegenüber den Angehörigen und werfen ihnen vor, dass sie den Tod nicht verhindert hätten. Zugleich fürchten sie, dass der Verstorbene nach dem Tod leidet und dass sie selbst oder ein anderes Familienmitglied sterben könnten.

 

Bereits im Grundschulalter begreifen Kinder, dass der Tod alle Menschen zu treffen imstande ist und dass ein verstorbener Mensch nicht zurückkommen wird. Lieb gemeinte oder verniedlichende Versionen des Todesfalles wie: “Die Oma ist friedlich eingeschlafen“ sollten vermieden werden, denn sie können zusätzliche Ängste entstehen lassen. Viele Kinder haben ohnehin Angst vor dem Einschlafen. Sie können nur unzureichend zwischen Phantasie und Realität unterscheiden und die vorgenannte Formulierung suggeriert dem Kind, dass Schlafen so etwas wie der Tod ist. Stattdessen versichere man dem Kind, dass der Verstorbene jetzt keine Schmerzen mehr habe und dass es ihm gut gehe, wo immer er auch sei. Dies fördert die Geborgenheit.

 

Im Zusammenhang mit einem Todesfall mag bei Kindern auch die Befürchtung entstehen, dass die Eltern sterben können. Diese Erkenntnis gehört zu den Ängsten vieler Kinder. Diesbezügliche Fragen sollte man nicht mit Floskeln wie: „Dies geschieht bestimmt nicht“ abtun. Besser ist eine beruhigende, aber ehrliche Antwort wie: „Das kann passieren, aber das ist sehr unwahrscheinlich, denn wir sind jung und gesund. Und wenn es doch passieren sollte, dann werden Opa (Name) und Oma (Name) oder Tante (Name) und Onkel (Name) gut auf euch aufpassen“. Eine diesbezügliche Existenzangst zu nehmen und stattdessen auf die genannte Sicherheit hinzuweisen ist für Kinder sehr wichtig.

 

In allen Fällen sollte man ein Kind – entsprechend seinem Entwicklungsstand – wahrheitsgemäß informieren und ihm die Umstände des Todes des Angehörigen erläutern wie Unfall, Krankheit, Gebrechen oder ein hohes Alter. Durch Veranschaulichen der unterschiedlichen Situationen kann man die Emotion (zum Beispiel Trauer) mit einem konkreten Sachverhalt (zum Beispiel schwere Krankheit) verbinden, auf diese Weise den Tod erfassbar machen und dadurch dem Kind die Ängste vor dem eigenen Tod nehmen. Beispielsweise: „Der Papa war sehr krank. Jetzt ist er gestorben. Darüber sind wir alle traurig, weil er uns fehlt. Aber nun geht es ihm gut und er wacht über uns.“

 

Manche Kinder werden im Zusammenhang mit einem Todesfall in der Familie übermäßig reif und übernehmen zu Hause die Rolle der verstorbenen Mutter oder des verstorbenen Vaters. Ohnehin haben

 

Jugendliche meist bereits ein realistisches Bild vom Tod, das dem der Erwachsenen gleicht. Im weiter fortgeschrittenen Alter möchten sie sogar von sich aus Einzelheiten dazu erfahren. Diesbezügliche Fragen sollte man ernst nehmen und ehrlich beantworten. Daher ist es während der Trauerzeit wichtig, dass die Bezugsperson diese Phase aktiv gestaltet, dass sie mit viel Geduld möglichst viel Zeit mit dem Kind verbringt (in jedem Lebensalter), dass sie tröstend und ruhig mit ihm redet, ihm dadurch Vertrauen, Zuwendung, Sicherheit und Geborgenheit bietet und einen normalen Alltagsablauf ermöglicht. Zu Letzterem kann kreatives Gestalten, zum Beispiel in Form eines Tagebuchs oder eines Erinnerungsbuchs, als Ventil für die Trauer wirken, ausgedrückt in Form von Texten und Bildern. Und nach und nach können auch wieder positive und erfreuliche Dinge in einem solchen Buch festgehalten werden, denn traurigen Zeiten folgen wieder fröhliche.

 

4. Leben ohne den Verstorbenen

 

4.1 Trost finden

 

Wenn Angehörige, die vom Ableben eines nahen Angehörigen betroffen sind, ihre schwierige Situation bewältigen und das eigene Leben ohne die verstorbene Person weiterleben wollen, müssen sie Trost finden. Dazu gibt es weder Allheilmittel noch Patentrezepte, die in jeder Situation und für jeden Trauernden passen. Jeder muss selbst herausfinden, was ihn zu trösten vermag. Dem einen helfen religiöse oder philosophische Ansätze. So kann für manche zum Beispiel der Glaube an eine himmlische Wiederauferstehung oder auf eine Wiedergeburt nach dem Tod sowie die innere Vorstellung darüber, wo der Verstorbene sich nun aufhält, tröstlich sein. Andere überwinden Trauer und Schmerz mit symbolhaften Handlungen wie dem Aufstellen oder Entfernen von Fotos, Blumen zum Grab zu bringen oder Kerzen in einer Kirche anzuzünden. Manche tragen ein besonderes Erinnerungsstück bei sich. Wiederum andere müssen, um Trost zu spüren, über ihre Empfindungen reden – sei es im Zwiegespräch mit dem Verstorbenen, sei es in einer Trauer-Selbsthilfegruppe. In gleicher Weise kann es für eine trauernde Familie tröstend sein, wenn ihnen liebevolles Interesse und aufrichtige Anteilnahme entgegengebracht werden. Grundsätzlich hilfreich für einen natürlichen Umgang mit dem Tod ist die rechtzeitige Beantwortung der Sinn-Fragen: „Woher komme ich?“, „Wozu lebe ich?“, „Wohin gehe ich?“. Das kann in dieser Grenzsituation durchtragen. Allen, die Trost annehmen, dürfte gemeinsam sein, dass sie ihre Gefühle und Gedanken zulassen, sich ihren Ängsten und Qualen stellen, den Verlust als Realität anerkennen, sich dem Leben ohne den Verstorbenen anpassen und die dazu notwendigen offenen Gespräche zu ertragen in der Lage sind. Was hingegen dauerhaft unterdrückt wird macht häufig krank oder es entwickelt sich Fehlverhalten wie Flucht in den Alkohol, Schlafmittelmissbrauch, ständige Ablenkung wie Tag und Nacht Fernsehen oder ständiges Arbeiten – insgesamt Verhaltensweisen, die den Schmerz betäuben sollen, aber auf Dauer schaden.

 

Für Außenstehende ist es extrem schwierig, persönlich oder in Kondolenzschreiben geeignete, tröstende Worte zu finden, denn unsagbares Leid lässt sich – im wörtlichen Sinne – mit Worten eben nicht angemessen ausdrücken. Keinen Trost jedenfalls vermitteln (gut gemeinte) Aussagen wie: „Das Leben geht weiter.“ (das stimmt zwar faktisch, nimmt aber nicht den Schmerz); „Ich weiß, wie Du Dich fühlst.“ (wenn man nicht das genau Gleiche erlebt hat, kann man es gar nicht wissen); „Die Zeit heilt alle Wunden.“ (Dieser Spruch ist vermutlich im Wartezimmer eines Arzte entstanden. Nicht alle Wunden heilen, und stets bleiben Narben, mit denen man lernen muss, zu leben); „Es war Gottes Wille.“ (wer ist in der Lage sich anzumaßen, Gottes Wille zu erklären); „Er ist jetzt an einem besseren Ort.“ (nicht jeder teilt diese religiöse Vorstellung); „Es hat bestimmt sein Gutes.“ (man sollte nicht versuchen, den Schmerz eines anderen herunterzuspielen); beim Tod eines Kindes: „Zum Glück hast Du noch ein anderes Kind.“ (kein Kind vermag ein anderes zu ersetzen); „Gut, dass (Name) jetzt von seinem Leiden erlöst ist.“ (das Leiden des Betroffenen ist zu Ende, aber der Schmerz des Hinterbliebenen beginnt erst); „Als mein (Name) starb, musste ich auch so leiden.“ (Trauer lässt sich nicht vergleichen – jeder leidet und trauert anders); „Das kann jedem passieren.“ (dies ist kein Trost, denn Unglück ist kein Massenartikel); „Du musst jetzt stark sein!“ (wer einen Verlust erlitten hat, darf auch verzweifelt sein); „Du schaffst das schon.“ (das wird sich erst zeigen).

 

Anstelle solcher und anderer Floskeln können eine mitfühlende Berührung, eine liebevolle Umarmung, ein schlichtes „Es tut mir so leid.“ oder ein rücksichtsvolles „Ich weiß nicht, wie Du Dich fühlst, aber ich kann mir denken, dass es Dir sehr schlecht geht.“ Trost und Unterstützung bieten und das empfundene Mitgefühl zeigen. Und mit einer einfachen Frage, wie: "Möchtest Du mir davon erzählen?" mag es gelingen, Trauernde zu einem tröstenden Gespräch zu ermutigen. Kondolenzschreiben kann man mit der Wiedergabe seiner persönlichen Gefühle beginnen (beispielsweise: der Tod von … hat mich tief getroffen / … hat mich sehr traurig gemacht). Man kann den Angehörigen schreiben, was der Verstorbene einem bedeutet hat und was man an ihm besonders geschätzt hat (z.B.: seit der Schulzeit mein bester Freund / immer ein wichtiger Ratgeber / stets tatkräftig und hilfsbereit / jemand, dem ich immer vertrauen konnte). Man kann erwähnen, welches Erlebnis besonders in Erinnerung bleiben wird (z.B.: die gemeinsame Reise nach… / die Treffen anlässlich …). Und beenden kann man einen solchen Brief mit einer geeigneten Schlussformulierung (z.B.: in Gedanken bin ich bei Euch / ich teile Eure Trauer). Und ganz allgemein spricht man sein aufrichtiges Beileid aus (nicht: herzliches Beileid).

 

4.2 Abschied nehmen

 

Den Verlust eines geliebten Menschen zu akzeptieren, ist eine der schwersten Aufgaben, die man im Leben zu bewältigen hat. Dazu muss man erkennen, dass man nicht fähig ist, etwas festzuhalten und dass es Dinge gibt, die sich der eigenen Kontrolle entziehen. Den Tod von jemanden anzunehmen und zu verarbeiten bedeutet loszulassen. Loslassen ist etwas, das vielen Menschen sehr schwerfällt, vor allem dann, wenn es endgültig ist. Insofern ist Abschied zu nehmen ein Thema, das früher oder später auf jeden zukommt, ganz gewiss auf jede Huntington-Familie, und mit dem umzugehen man lernen muss. Mit der Beerdigung zeremoniell Abschied zu nehmen ist dazu ein erster Schritt, das eigentlich Unfassbare zu realisieren: den Tod. Überdies dient die Verabschiedung den Hinterbliebenen, die Rückkehr ins eigene Leben zu meistern. Das Abschied-Nehmen und Abschied-Gestalten werden trotz des damit verbundenen Schmerzes von den meisten Zurückbleibenden als eine Erfahrung bewertet, die das Leid zu überwinden hilft. Dafür muss man sich Zeit nehmen.

 

Es gibt eine Reihe von Formen des Abschieds, die von Trauernden als heilsam und hilfreich erlebt werden. Dies beginnt beispielsweise damit, dass man nach Eintritt des Todes noch einige Stunden bei dem Verstorbenen verbleibt. Man kann ihm die Augen schließen, die Hände falten, ein letztes Mal seine Hand halten. Wenn man in den letzten Stunden nicht zugegen war, kann man in gleicher Weise am offenen Sarg Abschied nehmen. Manche schreiben einen Abschiedsbrief und geben ihn dem Sarg bei (Kinder können ein Bild malen). Ferner kann man die Lieblingsblumen mitbringen oder die Lieblingsmusik spielen lassen. Und schließlich kann man Erinnerungsstücke aufstellen oder sich durch die Gestaltung eines speziellen Foto- und Erinnerungsalbums die Beziehung zu dem Verstorbenen noch einmal bewusst machen.

 

Vielen dieser und ähnlicher Rituale des Abschied-Nehmens wohnt etwas Tröstliches inne, denn bekanntlich üben solche Symbole oft eine große Wirkung auf die Menschen aus. Sie können über einen langen Zeitraum und weit über die Bestattung hinaus eine stabile Erinnerung gewährleisten. Dazu muss man sein ganz persönliches Ritual finden, mit dem man sich verabschieden möchte. Es spielt keine Rolle, ob es anderen vielleicht kitschig vorkommen mag. Man sollte bewusst etwas wählen, bei dem man spürt, dass es für einen selbst stimmig ist. Die letzte Begegnung ist etwas sehr Kostbares, und ausgiebig Abschied zu nehmen kann für die Bewältigung der Trauer sehr hilfreich sein.

 

4.3 Hilfe und Beistand

 

Wie kann man Familien helfen, einen so schweren Verlust wie den Tod eines nahen Angehörigen einigermaßen zu verkraften? Derartige Hilfe fällt vielen schwer: sei es, dass der Mut fehlt, über Gefühle zu sprechen, sei es, dass die Angst besteht, etwas Falsches zu sagen. Dem Trauernden aber deshalb aus dem Weg zu gehen und ihn allein zu lassen, bis wieder Normalität eingetreten ist, wäre falsch. Vielfach genügt es nämlich, dem Trauernden ohne große Worte zu signalisieren, dass man einfach für ihn da ist, um ihm beizustehen – wenn er dies möchte. Man kann ihn also besuchen, mit ihm reden und zeigen, dass man persönlich ebenfalls trauert und dass der Tod des Betroffenen auch für einen selbst einen Verlust bedeutet. Statt vieler Worte kann man auch mit gemeinsamem Schweigen seine Verbundenheit zeigen. Vielleicht aber braucht er in dieser Phase sogar jemanden, der ihm ganz praktisch beim Erledigen alltäglicher Aufgaben hilft, denn wer trauert, leidet körperlich und seelisch, und den Alltag zu organisieren, fällt ihm schwer. Dann kann man Hilfe zur Selbsthilfe oder konkrete Hilfe anbieten, z.B. im Haushalt unterstützen, Einkäufe erledigen, Besorgungen übernehmen, Verwaltungsdinge regeln, etwas zu Essen mitbringen oder kochen, sich um Kinder kümmern, gemeinsam zum Friedhof gehen, mit dem Hinterbliebenen Orte aufsuchen, an denen sich der Verstorbene gerne aufgehalten hat und anderes mehr. Dazu einen Tages- oder Wochenplan aufzusetzen, um das Nötigste zu regeln, kann sehr hilfreich sein. Jedenfalls tut es vielen Menschen nach einem Verlust gut, zu spüren, dass jemand da ist. Schon bloße Anwesenheit und mitfühlender Kontakt können Trost spenden.

 

Fast wichtiger noch als reden kann das Zuhören sein, denn viele Hinterbliebenen erwarten keine klugen Worte, sondern brauchen vor allem jemanden, der einfach nur zuhört. Viele Trauernde möchten gerade in der ersten Zeit wieder und wieder über die Person sprechen, die sie verloren haben, über die Todesumstände und über Geschehnisse aus der Vergangenheit. Auch belastende Gefühle wie Wut, Schmerz, Fassungslosigkeit oder Schuld wollen möglicherweise herausgelassen werden. Dann tut es gut, wenn man auf Verständnis stößt und jemand Interesse zeigt und zuhört, selbst wenn es immer wieder um dieselben Fragen und Probleme geht. Und wenn es um sensitive Probleme geht (beispielsweise religiöse Fragen), dann ist es ohnehin besser, lediglich zuzuhören und die Betroffenen ihre eigenen Gefühle entwickeln zu lassen, statt zu versuchen, (womöglich unzureichende) eigene Auffassungen zu vertreten. Zu derartigen Themen wird jeder seine eigenen Antworten finden müssen. Und selbst wenn die Versuchung groß ist, die Geschehnisse zu bewerten oder ungefragt Ratschläge zu erteilen: besser ist es, dem zu widerstehen, einfach zuzuhören und nicht zu urteilen.

 

Wie eingangs erwähnt, braucht der Trauerprozess seine Zeit. Trauernde treffen dazu oft auf Unverständnis. So, wie Betroffene sich die notwendige Zeit zugestehen sollten, können auch Helfer dem Hinterbliebenen signalisieren, dass sie Schmerz und Gefühle verstehen, und zwar unabhängig davon, wie lange der Verlust tatsächlich zurückliegt. Man sollte den Trauernden also weder drängen, noch sich aufdrängen. Gleichwohl sollte man nicht gleich aufgeben, wenn Hilfe abgelehnt wird. Meist wird sie nach ernstgemeintem, wiederholtem Angebot gerne angenommen. Allerdings dürfte diesbezüglich eine Aufforderung wie: “Melde Dich, wenn Du etwas brauchst!“ ungeeignet sein, weil der Trauernde dazu vermutlich nicht die Kraft aufbringen wird. Besser ist es, ihn von Zeit zu Zeit anzurufen oder ihn zu besuchen. In diesem Zusammenhang sollte man auch bedenken, dass der Trauerschmerz nach ein paar Wochen, wenn Beerdigung und damit verbundene Ablenkungen vorüber sind, am stärksten ist. Ausgerechnet dann lassen allgemeine Anteilnahme und Hilfe meist nach. Als Angehöriger ist man daher zu diesem Zeitpunkt zur Unterstützung ganz besonders gefragt. Alsdann kann man nach und nach vorsichtig dazu übergehen, sanfte Impulse zur Aktion zu geben, zu ermutigen, sich aktiv mit der neuen Realität auseinanderzusetzen, frühere Betätigungen als Abwechslung zu Einsamkeit und Trauer wieder aufzunehmen und langsam zu beginnen, sich wieder nach außen zu orientieren.

 

Wer nach dem Tod eines geliebten Menschen aktiv und offen mit der Trauer umgeht, vermag den Verlust besser zu verkraften und schneller wieder zum Leben zurückzufinden. Es ist daher wichtig, über das Geschehene zu reden und nicht zu versuchen, es hinunter zu schlucken oder zu tabuisieren, denn dies kann den Schmerz und die Trauer noch verstärken. Insofern ist es ratsam, sich nicht zurückzuziehen, sondern weiterhin Kontakt zu Freunden und Verwandten zu pflegen und mit den Menschen, die einem nahestehen, darüber zu sprechen. Vor allem das Gespräch mit Menschen, die Ähnliches erlebt haben, vermag für Trauernde eine große Erleichterung zu sein. Hier finden sie als erstes Verständnis für ihre Lage.

 

Sollte die Trauer nicht enden wollen und auch das Gespräch mit vertrauten Personen aus dem nahen sozialen Umfeld nicht die erhoffte Wirkung zeigen, dann suche man sich zur psychologischen Betreuung professionelle Hilfe von außen. Dies gilt für Erwachsene genauso wie für Kinder. Gelingt die Trauerbewältigung nämlich innerhalb eines Jahres nicht, so empfehlen Psychotherapeuten, Entlastung in einer Therapie zu suchen. Letztlich sind die Hinterbliebenen in die verschiedensten sozialen Beziehungen eingebunden, und eine überlange Trauerzeit belastet zugleich Angehörige und Freunde, beeinträchtigt die Arbeitsfähigkeit, kann in Isolation oder Depression führen und verschließt den Zugang zu den Dingen, die das Leben lebenswert machen. Trauerbegleitung findet man bei Psychologen, erfahrenen Therapeuten der caritativen Verbände, geschulten Mitarbeitern der Hospiz-Organisationen oder im kirchlichen Bereich. Auch Selbsthilfegruppen, in denen man Personen mit dem gleichen Schicksal begegnet, können wirkungsvollen Beistand leisten (Anschriften im Internet).

 

In jedem Fall bietet der Austausch mit anderen die Möglichkeit, über Ängste zu reden, Belastungen abzuladen, neue Gedanken zu fassen und die Seele zu entlasten. Man sollte dabei keine Angst haben, dass man den Verstorbenen vergisst – man wird immer wieder an ihn denken. Bereits das Erinnern an ihn trägt zur Trauerverarbeitung bei, und seine namentliche Nennung zeugt von Wertschätzung und sich normalisierendem Umgang. Dabei müssen heitere Anekdoten kein Tabu sein, denn Lachen hilft Heilen und man sollte sich ohne schlechtes Gewissen wieder freuen dürfen. Und wenn man vor Mitgefühl, Rührung oder eigener Hilflosigkeit keine Worte findet, muss einem das nicht unangenehm sein. Wichtig ist vielmehr, dass der Trauernde nicht alleine ist.

 

5. Fazit

 

Für die meisten Menschen ist der Tod eines nahen Angehörigen das schlimmste Ereignis, das sie sich vorstellen können. Dies gilt selbst dann, wenn infolge der Huntington-Krankheit dessen Hinscheiden vorhersehbar ist. Der Tod verändert für die Hinterbliebenen Leben und Alltag. Nichts wird wieder sein, wie es war. Dennoch scheint in unserer Gesellschaft für den bewussten Umgang mit Verlust und Trauer kaum noch Platz zu sein. Dabei ist eine offene Handhabe dieser Problemlage sehr hilfreich für die Trauerbewältigung. Diese ist ein schwieriger, langer und individueller Prozess, den jeder Mensch körperlich und emotional anders durchläuft. Jeder Einzelne erlebt Trauer auf seine eigene Weise und in seinem eigenen Zeitmaß. Das kann schneller gehen oder mag auch langsamer gelingen. Manche brauchen wenige Wochen dafür, andere Jahre. Aber nur der, der seinen Verlust bewusst betrauert, ist imstande, ihn zu bewältigen und irgendwann wieder am Leben teilzunehmen. Und darum geht es: weiterzuleben, so schlimm der Verlust auch scheint. Zwar wird der Schmerz über den Tod des Angehörigen bestehen bleiben, aber er verändert sich und er wird schwächer.

 

Am Anfang eines Trauerprozesses geht es darum, die Wirklichkeit des Todes zu begreifen. Es bedarf viel seelischer Stärke, um das zu akzeptieren, was man nicht zu ändern vermag. Manche möchten nicht einmal darüber reden und ziehen sich völlig zurück. Aber Verneinen und Verdrängen des Todes hilft niemandem, und wer Trauer unterdrückt, riskiert langfristig ernste gesundheitliche Schäden. Hinterbliebene sollten daher den Mut fassen, sich aktiv und konstruktiv mit dem Thema Tod zu beschäftigen. Dazu zählt es auch, auf seine ganz persönliche Art Abschied zu nehmen. Und obwohl es keine Worte gibt, die den Verlust leichter oder den Tod wiedergutmachen könnten, sollte man sich nicht scheuen, Hilfe von anderen in Anspruch zu nehmen und das Gespräch mit vertrauten Menschen zu suchen. Zwar sollte diesen bewusst sein, dass niemand nachempfinden kann, wie groß der Schmerz der Betroffenen tatsächlich ist. Dennoch können Zusammenhalt und Nähe den Hinterbliebenen Trost spenden. Dazu ist vor allem Mitgefühl gefragt. Darüber hinaus vermag unterstützende Beratung durch geschulte Trauerbegleiter, Psychologen oder andere professionelle Betreuer helfen, besser mit den vielfältigen Gedanken und Gefühlen umzugehen. Wer seinen Schmerz annimmt, wird imstande sein, zu lernen, mit dem Tod seines Angehörigen zu leben, seine Trauer zu überwinden und einen neuen Weg ins Leben zu betreten.

 

Die Zeit heilt alle Wunden?

Das stimmt nicht. Die Wunden bleiben.

Mit der Zeit verdeckt der Verstand, der seine Gesundheit schützt,

sie mit Narbengewebe, und der Schmerz verringert sich. Aber er ist nie weg.

(Rose Kennedy)

 

6. Weiterführende Information

 

Umfassende Information zur Huntington-Krankheit unter: www.huntington–info.at

 

7. Feedback

 

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 Autor: Ekkehart Brückner                                                                     Stand: Juli 2023