1. Einleitung
Kommunikation, verstanden als Austausch von Information mittels hören, sprechen, schreiben und lesen, ist das wesentliche Element des Kontakts mit anderen Menschen. Gleichwohl wird die Fähigkeit, sich untereinander zu verständigen, durch die Huntington-Krankheit mehr und mehr beeinträchtigt, bis sie im Spätstadium der Krankheit vollständig verloren geht. Dies betrifft jede der oben genannten kommunikativen Funktionen, doch beim Sprachvermögen tritt der Verlust am augenfälligsten zu Tage. Der Erkrankte wird dadurch auf seine eigene Welt beschränkt, unfähig, die elementarsten Auskünfte zu geben oder Wünsche mitzuteilen. Obwohl es derzeit keine Therapie gibt, die das Fortschreiten der Huntington-Krankheit verhindert, können insbesondere krankheitsbedingte Sprachschwierigkeiten so behandelt werden, dass die Fähigkeit zu kommunizieren länger aufrechterhalten wird. Dieses Infoblatt informiert darüber, wie es mittels Sprachtherapie, bestimmter Gesprächstechniken, diverser Hilfsmittel und entsprechendem Training möglich ist, den Prozess des Kommunikationsverlustes zumindest hinauszuzögern.
2. Sprachstörungen
So vielfältig, wie sich die allgemeinen Symptome der Huntington-Krankheit darstellen, so mannigfach zeigen sich die Sprachstörungen. Die Defizite reichen von physischen Schwierigkeiten bis zu psychischen Problemen. So geht es in erster Linie um Artikulationsschwierigkeiten, aber auch um die Mühe, ein Gespräch zu beginnen, um das Problem, Gedanken in Worte zu kleiden, um eine reduzierte Anzahl verfügbarer Worte, um die begrenzte Fähigkeit, innerhalb eines Gesprächs zu reagieren, um spezifische Wortfindungsstörungen, um die Schwierigkeit, komplexe Informationen zu verstehen, um langsame Reaktionszeit, um das Problem, neue Informationen und Fähigkeiten zu erlernen, um ein reduziertes Kurzzeitgedächtnis, um mangelnde Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit und schließlich um die mangelnde Fähigkeit zu Koordination, Organisation und Problemlösung.
Wie die Aufzählung zeigt, geht es in der Kommunikation nicht nur um Mundmotorik und Sprachproduktion. Diese physiologischen (organischen) Störungen werden vielmehr verschärft durch die gleichzeitig mit der Krankheit auftretenden kognitiven Störungen (Störungen im Denkvermögen), denn Kommunikation findet mit verbalen Mitteln (Sprache) und nonverbalen Mitteln (Gesten, Mimik) statt. Ferner ist sie eine komplexe, koordinierte Tätigkeit, die unter anderem aus hören, erinnern, denken, dem Gebrauch einer Vielzahl von Muskeln und der richtigen Atmung besteht. Und alles, was ein Betroffener sagt und wie er es sagt, wird von der Huntington-Krankheit beeinflusst.
Dies beginnt im frühen Verlauf der Krankheit in einer milden Form und verstärkt sich mit deren Fortschreiten. Die Schwächen äußern sich beispielsweise in ungleichmäßiger Atmung zur Spracherzeugung, einer heiseren, harten, angespannten oder gewürgten Stimme, unangemessener Sprechgeschwindigkeit, ungleichmäßigem Sprechrhythmus, ungünstiger Tonhöhe sowie unpräziser Artikulation. Dadurch wird das Reden immer undeutlicher, und in den späteren Stadien der Erkrankung sind die meisten Betroffenen überhaupt nicht mehr in der Lage, sich verständlich zu machen. Wenn sich dies abzuzeichnen beginnt und der Erkrankte fühlt, dass er mangels Kommunikation allmählich von der Teilhabe am Geschehen seiner Umgebung ausgeschlossen wird, kann er frustriert und aggressiv reagieren. Ein solches Verhalten ist für ihn möglicherweise unbewusst der einzig verbleibende Weg, um auf sich aufmerksam zu machen. Darüber hinaus ist es vielen Patienten unangenehm, dass die Sprache mit der Zeit undeutlich und schwer verständlich wird, so dass sie insgesamt, vor allem Fremden gegenüber, wenig sprechen.
Die Zunahme der Störungen ist im Einzelnen nicht genau vorhersehbar, weil die Defizite zufällig auftreten, während die Krankheit fortschreitet. Dies schafft zusätzliche Schwierigkeiten, denn der Betroffene kann nicht darauf vertrauen, zu einem bestimmten Zeitpunkt über konkrete Fähigkeiten zu verfügen. Beispielsweise kann er in einem Moment einen klaren Wunsch äußern, einen Augenblick später aber enorme Schwierigkeiten haben, den gleichen Gedanken erneut zu artikulieren.
3. Die Rolle des Betreuers
Angesichts dieser Gemengelage unterschiedlicher Störungen muss der Betreuer (Pfleger, Angehörige) ein breites Spektrum an Maßnahmen kennen und anwenden, um seiner Verantwortung gegenüber dem Betroffenen gerecht zu werden, ohne diesen jedoch zu bevormunden. In seiner Verantwortung liegt es, die Kommunikation mit dem Betroffenen nicht aufzugeben und diesen nachdrücklich zu ermutigen, aktiv beizutragen.
Dazu muss der Betreuer zunächst lernen, ein guter Zuhörer zu werden, denn Gespräche bestehen aus sprechen und zuhören. Dabei ist das Aufrechterhalten der Kommunikation vor allem im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit eine erhebliche Herausforderung, nicht zuletzt an die Geduld. Darüber hinaus muss er wissen, dass ein Betroffener selbst in dieser Phase und trotz seiner kognitiven und physiologischen Störungen noch viel von dem versteht, was um ihn herum vor sich geht, auch wenn eine aktive Teilnahme daran nicht mehr möglich ist. Allzu oft wird von Huntington-Patienten angenommen, dass sie nichts mehr verstehen, nur weil sie nicht mehr verbal kommunizieren. Mit der Zeit und bei manchen Gelegenheiten kann man jedoch feststellen, dass oft unterschätzt wird, wie wachsam und aufmerksam ein „sprachloser“ Patient sein kann. Obwohl der Betroffene unaufmerksam erscheint oder so wirkt, als ob er nicht zuhöre, ist es überraschend, wie viel er aus einer Unterhaltung mitbekommt. Selbst wenn er sich nicht sofort oder gar nicht äußert, an seiner Mimik kann man die Anteilnahme zuweilen erkennen. Die Kommunikation mit ihm beizubehalten ist daher in jeder Phase der Krankheit enorm wichtig.
Der Patient selbst ist auf den Betreuer angewiesen und muss sich auf ihn verlassen können. Er hat die Kontrolle über seinen Körper weitgehend verloren und kann sich kaum oder nicht mehr um seine eigenen Bedürfnisse kümmern. In dieser Situation ist für ihn die Möglichkeit, in irgendeiner Weise kommunizieren zu können, der vermutlich wichtigste Aspekt der Verbundenheit mit der Außenwelt. Das jeweilige Thema ist dabei von untergeordneter Bedeutung, sei es das Wetter, die Nachrichten, seine Interessen, Familientratsch – alles ist Recht, was ihn mit der Welt verbunden hält. Im Zimmer vorhandene Familienbilder oder andere Erinnerungsstücke geben dem Betreuer hilfreiche Ansatzpunkte für ein Gespräch.
4. Logopädische Therapie
Im Vordergrund aller Bemühungen, die Kommunikationsfähigkeit zu verbessern und zu erhalten, steht die Sprachtherapie. Dazu spielt die Unterstützung durch einen Logopäden eine wesentliche Rolle. Der Schwerpunkt dessen Tätigkeit ist es, die verbliebenen Fähigkeiten zu prüfen und zu beurteilen, diese je nach Störungsbild und Symptomen mit geeigneten Maßnahmen soweit möglich und notwendig zu verbessern und gegebenenfalls Betreuer und Familienangehörige anzuleiten, wie sie mit dem Betroffenen in effektiver Weise kommunizieren können. Die Behandlung jedenfalls sollte bereits bei den ersten erkennbaren Sprechstörungen beginnen, solange Motivation und Lernfähigkeit dies zulassen.
Bei der Erforschung der Sprachprobleme von Huntington-Patienten wurde festgestellt, dass die Hauptfaktoren für die physiologischen Sprachstörungen in Schwierigkeiten bei der Stimmbildung begründet sind, verursacht durch unregelmäßiges atmen. Das bedeutet, dass eine Therapie günstiger sein kann, wenn sie auf die Aufrechterhaltung der Kontrolle über Atmung und Stimmbildung zielt, statt auf den Abbau artikulatorischer Schwierigkeiten. In diesem Sinne gilt es, für den weiteren Verlauf der Erkrankung eine wirksame sprachtherapeutische Behandlung zu entwickeln.
5. Anpassen der Gesprächsführung
Neben einer individuellen logopädischen Therapie gilt es, vor allem unter dem Aspekt der kognitiven Defizite, mittels einer Reihe bewährter Vorgehensweisen die Gesprächsführung an die Belange des Betroffenen anzupassen. Dies hilft, die Kommunikation zu erleichtern und so lange wie möglich beizubehalten. Hier ist ein Zehn-Punkte-Vorschlag für die Praxis:
Gesprächstempo reduzieren
Wie man weiß, werden durch die Huntington-Krankheit bestimmte Gehirnzellen zerstört. Wenn weniger Gehirnzellen richtig funktionieren, werden Informationen langsamer verarbeitet. Langsameres Denken erzeugt verzögerte Reaktionen. Daher sollte man einem Betroffenen beispielsweise nach einer Frage ausreichend Zeit zur Formulierung einer Antwort lassen. Dies kann eine Weile dauern: fünf Sekunden, zehn Sekunden. Einem Gesunden mag das lang und langweilig vorkommen, doch ein Betroffener benötigt diese zusätzliche Zeit zum Verstehen des Gehörten, zum Verarbeiten der Information, zum Nachdenken, zum Formulieren eines Gedankens und für eine Antwort. Und wenn man aus Ungeduld die Frage wiederholt oder eine neue Frage stellt, dauert die Antwort noch länger, weil der Betroffene seinen Gedankengang von vorne beginnen muss.
Wenn darüber hinaus dem Huntington-Patienten das Sprechen schwerer fällt und die Sprache unverständlicher wird, hilft es, ihn bewusst zum langsameren Sprechen anzuhalten. Umgekehrt muss der Betreuer in gleicher Weise seine Sprechgeschwindigkeit verringern und auf eine genaue Aussprache achten – zweckmäßigerweise unter Betonung der Schlüsselworte und Kernaussagen. Auch Pausen nach jedem Satz sind sinnvoll. Man soll daher das Gesprächstempo den Fähigkeiten des Gegenübers anpassen.
Wenn man als Gesprächspartner dazu gelegentlich nicht die erforderliche Zeit aufbringen kann, soll man es dem Patienten offen sagen und gleichzeitig versprechen, darauf zurückzukommen. Zugunsten eines zufriedenstellenden Gesprächs kann es allerdings sinnvoller sein, einige Minuten mehr aufzubringen, als miteinander in Eile zu sprechen. Bekanntlich erwarten Betroffene oft ungeduldig die sofortige Beantwortung von Fragen oder die Erfüllung ihrer Wünsche. Insofern kann umgehendes Reagieren das Entstehen von Aggressionen zuweilen vermeiden helfen.
Nicht verstandene Mitteilungen wiederholen
Während des Gesprächs ist es wichtig, regelmäßig sicherzustellen, dass man den Betroffenen richtig verstanden hat. Zwar muss man nicht jedes einzelne Wort verstehen, aber doch den Kern einer Aussage. Wenn dies nicht der Fall ist, kann man dies ruhig sagen und um Wiederholung bitten („Was hast Du gesagt?“). Dies ist oft alles, was zum Verständnis nötig ist. Dadurch kann man Irrtümern und Konflikten vorbeugen, denn diese entstehen auch aus Missverständnissen heraus. Auch eine Mitteilung zu wiederholen ("Sagtest Du gerade ...?“), wird dazu beitragen, Missverständnisse auszuräumen. Jedenfalls sollte man nicht vorspiegeln, etwas verstanden zu haben, wenn dies nicht zutrifft. Dies kann zu Misstrauen führen. Und wenn keine Antwort kommt, werte man das nicht sofort so, dass der Betroffene die Frage nicht verstanden hätte. Es kann einfach sein, dass er nicht genügend Zeit zum Nachdenken und zum Umsetzen in eine Antwort hatte.
Das Gesagte gilt in gleicher Weise für den Betreuer. Wenn er den Eindruck erhält, dass er nicht verstanden worden ist, sollte er seine Mitteilung einfach wiederholen. Wenn er dann noch immer nicht verstanden wurde, ist es am besten, den Inhalt in anderer Formulierung zu wiederholen, bevor bei Betroffenem und Betreuer Frustration entsteht. Meist genügt die Wahl eines anderen Wortes oder Satzes, um die gleiche Idee zu kommunizieren. Zweckmäßigerweise bildet man einfache Sätze, die jeweils eine Idee oder einen Gedanken vermitteln. Schachtelsätze sollte man vermeiden, und um den neuen Satz anzupassen, nehme man sich die nötige Zeit. Das Hauptziel ist es, die Botschaft zu vermitteln. Es ist von geringerer Bedeutung, ob Sprecher und Hörer korrekte Grammatik oder anspruchsvollen Wortschatz verwenden.
Die richtige Frage stellen
Die richtige Frage zu stellen kann ebenfalls dazu beitragen, eine Mitteilung zu klären. Sie ermöglicht es dem Patienten, seine Antwort anzubringen, ohne lange Sätze formulieren oder artikulieren zu müssen. Dabei geht es vornehmlich um so genannte geschlossene Fragen, auch Entscheidungsfragen genannt. Bei diesen genügen kurze Ein- oder Zwei-Wort-Antworten und die Antwortmöglichkeiten sind mit „Ja“, „Nein“, „Weiß nicht“ mehr oder weniger vorgegeben (Beispiel: „Möchtest Du jetzt essen?“ – „Ja / Nein“).
Je nach Stadium der Krankheit und Ausprägung der kognitiven Störungen kann man dem Patienten auch Alternativfragen stellen. Dies sind Kombinationen von zwei oder mehr Entscheidungsfragen, die ihm Gelegenheit bieten, aus den angebotenen Möglichkeiten auszuwählen und zu antworten, aber nicht mit Ja oder Nein (Beispiel: „Möchtest Du Hühnchen essen oder Pizza?“). Hier muss er eine Auswahl treffen.
Offene Fragen, Doppelfragen und rhetorische Fragen sollte man tunlichst dann vermeiden, wenn sie den Patienten überfordern könnten. Offene Fragen, auch W-Fragen genannt, beginnen mit einem Fragewort, das mit dem Buchstaben W beginnt (wer, was, wie, warum, weshalb, wozu, wohin, usw.) und eine längere, ausformulierte Antwort verlangen. Letzteres gilt auch für Doppelfragen. Bei diesen sind, wie der Name andeutet, zwei oder mehr Fragen in einer zusammengefasst (Beispiel: „Möchtest Du, dass wir im Urlaub in die Berge fahren und dass wir mit dem Zug reisen?“). Rhetorische Fragen sind Fragen, die offensichtlich keiner Antwort bedürfen, weil sie diese bereits vorgeben (Beispiel: „Wollen wir nicht alle, dass unsere Kinder gesund sind?“).
Ausdrücklich betont sei, dass eine vom Stadium der Krankheit abhängige Reduzierung von Fragestellungen auf geschlossene oder Alternativfragen keine Bevormundung des Patienten bedeuten soll, sondern eine Hilfestellung für die Kommunikation.
Das richtige Stichwort liefern
Das Nachlassen der intellektuellen Fähigkeiten kann dazu führen, dass der Betroffene im Gespräch ein bestimmtes Wort nicht oder nicht sofort findet und entweder nicht weiterweiß oder Umschreibungen gebraucht. Solche Wortfindungsprobleme sind ein häufig zu beobachtendes Symptom der Huntington-Krankheit (allerdings widerfährt dies gelegentlich auch Gesunden). Bei solchen Wortfindungsstörungen soll man nicht unverzüglich einspringen. Das empfinden Betroffene als kränkend. Dennoch kann der Zuhörer eine hilfreiche Rolle spielen, indem er – nach angemessener Wartezeit – ein passendes Stichwort liefert, das dem Patienten hilft, sich wieder an das gesuchte Wort zu erinnern. Statt eines Stichworts kann er dem Betroffenen auch gezielte Fragen zum gesuchten Begriff stellen, oder umschreibende Fragen, zum Beispiel nach verschiedenen Eigenschaften des gesuchten Objekts wie Größe, Form, Lage usw. Oder er hilft ihm, sich das Gesuchte bildlich vorzustellen. Diese Vorgehensweise ist nicht nur hilfreich für die Wortfindung, sondern schult auch die Gedächtnisleistung im Allgemeinen.
Das Gespräch lenken
Mit der Zeit wird es für Huntington-Betroffene wegen nachlassender Aufnahmefähigkeit schwieriger, im Gespräch die Aufmerksamkeit zügig von einem Thema auf ein anderes zu lenken. Genauso jedoch wird es für sie wegen abnehmender Konzentrationsschwierigkeit schwerer, sich auf ein Thema zu konzentrieren. Und wiederum ebenso geschieht es, dass sie sich an einem Thema regelrecht festbeißen, wobei ein und dieselbe Aussage beharrlich wiederholt und selbst bei unpassendem Zusammenhang nicht geändert wird. Die Betroffenen erkennen dieses Fehlverhalten selbst nicht. Diese gegensätzlichen und nicht vorhersehbaren Verhaltensweisen machen es für einen Betreuer schwer, in geeigneter Weise darauf zu reagieren. Dennoch kann er durch geschickte Gesprächsführung dazu beitragen, dieses Verhalten zu verändern.
Dazu zählt, bei einem Thema zu bleiben oder zumindest die Anzahl der Themenwechsel während eines Gesprächs möglichst gering zu halten, sodass der Patient nicht zu schnell von einem Gegenstand zum anderen wechseln muss. Wenn ein Thema erschöpft ist, gewährt es dem Betroffenen eine gewisse Zeit zum Nachdenken, wenn man den Themenwechsel langsam und mit konkreten Hinweisen auf das Nächste ankündigt (Beispiel: „Wir kommen jetzt zu einem anderen Thema: ...“, oder „Wir sprechen jetzt über …“.). Und wann immer das beharrliche Festbeißen an einem Thema geschieht, kann man ruhig und freundlich darauf aufmerksam machen. Umgekehrt kann man mit dem richtigen Stichwort den Betreffenden wissen lassen, wann er ein Thema, das besprochen werden muss, verlassen hat, und ihn darauf zurückführen – deutlich, aber einfühlsam, um Frustration zu vermeiden. Prinzipiell geht es darum, das Gespräch behutsam zu lenken, in einer nicht-konfrontativen Art und Weise und ohne zu dominieren. Und generell ist es dabei hilfreich, stets anzukündigen was man tut und warum man es tut.
Ablenkungen vermeiden
Wir sind es gewohnt, dass um uns herum viele Vorgänge gleichzeitig ablaufen (Fernsehen, Essen, Unterhaltung, telefonieren, Radio hören, usw.). Huntington-Patienten werden von einem unruhigen Umfeld leicht abgelenkt. Wegen nachlassender Konzentrationsfähigkeit sind sie davon zunehmend überfordert. Zu viele gleichzeitige Sinneswahrnehmungen wirken verwirrend. Sie können Paralleleindrücke nicht ausblenden, wie Gesunde.
Die Verringerung von Lärmbelastung und das Vermeiden von Ablenkungen spielen daher auch in der Kommunikation mit einem Huntington-Patienten eine wichtige Rolle. In einer lärm- und ablenkungsfreien Umgebung ein Gespräch zu führen, ohne dass zum Beispiel im Hintergrund der Fernseher läuft, trägt dazu bei, dass er sich besser auf die Kommunikation konzentrieren kann. Überdies wird das Reduzieren von Hintergrundgeräuschen auch dem Betreuer helfen, den Patienten besser zu hören und zu verstehen.
Gedächtnisleistung unterstützen
Huntington-Patienten erleben eher Schwierigkeiten mit ihrem Kurzzeitgedächtnis, während die Langzeitgedächtnisleistungen ziemlich intakt bleiben. Dies kann man sich zunutze machen, indem man versucht, neue Informationen mit alten, zuvor gespeicherten Informationen zu verknüpfen oder zu kombinieren. Auch das Aufteilen einer Mitteilung in kleinere Abschnitte (portionieren), kann dazu beitragen, dass eine Nachricht besser verstanden wird und leichter im Gedächtnis gespeichert wird (Beispiel: "Wenn am Nachmittag Dein Freund wieder zu Besuch kommt, musst Du Dich an drei Dinge erinnern ..."). In gleicher Weise unterstützt das Aufrechterhalten bestimmter Routinetätigkeiten, verbunden mit wiederholter diesbezüglicher Information und Ankündigung, die Verankerung im Gedächtnis.
Verständigen ohne Worte
Der Verlust der Sprachfähigkeit muss nicht unbedingt das Ende der Kommunikation bedeuten. Ein großer Teil der Kommunikation verläuft nicht nur über das gesprochene Wort, sondern darüber, wie es gesprochen wird: über Ton, Gestik und Mimik. Die beiden Letztgenannten können daher sehr hilfreiche Werkzeuge sein, vor allem in der Spätphase der Krankheit, wenn das Sprechvermögen weitgehend verloren gegangen ist. Gestik und Mimik können Hinweise geben, zu entschlüsseln, was der Betroffene mitzuteilen versucht. Dies verlangt eine sorgfältige Beobachtung des Patienten, weil motorische Störungen und unbeabsichtigte Grimassen den Inhalt des Gesagten gewaltig beeinflussen und sogar ins Gegenteil verkehren können.
Auch die eigenen Mitteilungen können mit Mimik, Gestik und Körpersprache unterstrichen werden, um dem Betroffenen zusätzliche kommunikative Anhaltspunkte zu liefern. Ein „Gespräch“ muss ja nicht verbal stattfinden. Ein Blinzeln oder ein winziges Lächeln kann die einzige Antwort sein, aber sie bietet die Möglichkeit, in dieser Weise zu kommunizieren. Wenn der Betroffene dazu in der Lage ist, kann man eine Reihe von Bewegungen vereinbaren, mit denen er Grundbedürfnisse anzudeuten in der Lage ist, beispielsweise ein Augenaufschlag für "Ja", die Augen schließen für "Nein", und so weiter. Dies stößt dann an Grenzen, wenn der Patient unter starken unkontrollierten Bewegungen leidet. Aber einen Versuch sollte es wert sein. Und schließlich kann man sich Wünsche überlegen, die der Betroffene zuvor regelmäßig geäußert hat, und ihm diese ungefragt erfüllen, auch wenn er nicht mehr in der Lage ist, darum zu bitten.
Darüber hinaus sollten wir nicht vergessen, welche Bedeutung eine einfache Berührung haben kann. Über die Nervenzellen der Haut nehmen Berührungen nämlich Einfluss auf den Hormonhaushalt und das vegetative Nervensystem. Bei achtsamer, angenehm empfundener Berührung wird ein beruhigend wirkendes Hormon ausgeschüttet, Stresshormone werden verringert, stimmungsaufhellende Glückshormone werden verstärkt und das vegetative Nervensystem schaltet vom Kampf- in den Ruhemodus. Ohne diese biochemischen Zusammenhänge zu kennen spüren wir intuitiv, wie wichtig, heilsam und wohltuend Berührungen sein können. Sie erinnern uns an die Berührungen der Mutter, die uns in den ersten Lebensmonaten Halt und Sicherheit gegeben haben, denn jede Mutter nimmt ihr Kind in den Arm, wenn es weint. Dadurch erzeugen Berührungen in uns Gefühle von Vertrauen, Liebe und Ruhe. Auch Spannungen lösen sich, denn Berührungen sind Nahrung für die Seele. Auf diese Weise können Berührungen den Blutdruck senken, Schmerzen lindern und das Immunsystem stärken. Insgesamt stellen somit Berührungen zwischen Menschen eine Verbindung her, die weit über die Möglichkeiten der Kommunikation mit Worten hinausgeht.
Routineabläufe schaffen
Eine große Hilfe kann es sein, in den Abläufen des täglichen Lebens eine Struktur, eine Routine einzuführen und einzuhalten. Das erspart dem Betroffenen Entscheidungen und Überraschungen und hilft ihm, sich auf zu Erwartendes einzustellen. Zu wissen, was als Nächstes kommt, in bekannter Weise, in derselben Reihenfolge, zur gleichen Zeit – das alles ist für Huntington-Patienten angenehm und beruhigend. Und es erleichtert Betroffenen und Betreuern das Miteinander, gerade dann, wenn die Kommunikation schwierig, eingeschränkt oder gar nicht möglich ist.
Beteiligte informieren
Alle Personen, die an der Pflege des Patienten beteiligt sind (Betreuer, Angehörige, usw.), sollten zweckmäßigerweise darüber informiert werden, wie mit ihm am besten kommuniziert werden kann. Sollte sich der Betroffene bereits in einem Pflegeheim befinden, ist es ratsam, auch das dortige Pflegepersonal darüber zu instruieren. Schließlich erleichtert die Kenntnis darüber beiden Seiten, dem Pflegling wie dem Pfleger, den Umgang miteinander.
6. Kommunikationshilfen
Irgendwann wird die Sprache als Kommunikationsmittel unbrauchbar. Das bedeutet nicht gleichzeitig den Verlust der Kommunikationsfähigkeit insgesamt. Vielmehr müssen andere Wege gefunden werden. Tatsächlich gibt es auf dem Markt die verschiedensten elektronischen und nicht-elektronischen Kommunikationshilfen in Form von Buchstaben-, Zahlen-, Wort- oder Bildtabellen. Bei den Buchstabentabellen ist das ganze Alphabet aufgeführt, und der Patient kann mit dem Finger die Buchstaben eines jeden Wortes der Reihe nach zeigen. Worttabellen enthalten einen kleineren Wortschatz. Hier sind Schlüsselwörter aufgeführt wie Ja, Nein, Essen, Trinken, Rauchen, Schlafen, Bad, WC und dergleichen mehr, auf welche der Kranke mit einer Handbewegung deuten kann. Zusätzlich zum geschriebenen Wort – oder stattdessen – kann man den Gegenstand als Symbol darstellen. Dem gleichen Zweck dienen zum Beispiel kleinere Fotoalben mit Zeichnungen oder Fotografien, die der Betroffene durchblättern kann. Die Anzahl der Elemente sollte jedoch in Grenzen gehalten werden, um die Auswahl des richtigen Bildes trotz mangelnder Aufmerksamkeit oder gegenwärtiger Ablenkung zu erleichtern. Je nach Fingerfertigkeit müssen alle diese Hilfen eine entsprechende Mindestgröße besitzen, damit das Hindeuten zweifelsfrei möglich und für den Betreuer erkennbar ist. Nicht-elektronischen Hilfsmitteln ist der Vorzug zu geben vor elektronischen, weil der Zeitraum, in dem der Patient sie nutzen kann, ohnehin begrenzt ist. Außerdem können nicht-elektronische Hilfsmittel kurzfristig selbst hergestellt und verändert werden, um wechselnden Bedürfnissen des Patienten gerecht zu werden.
Einschränkend muss gesagt werden, dass Wort- und Buchstaben-Tafeln sehr hilfreich für diejenigen sein können,
die noch buchstabieren oder die ersten Buchstaben eines Wortes angeben können. Bildtafeln dagegen können länger erfolgreich genutzt werden. Leider werden solche Tafeln im Verlauf der Krankheit
oft zu spät eingeführt, wenn das Erlernen neuer Fertigkeiten bereits sehr schwierig ist und Lese- und Rechtschreibfähigkeit längst nachgelassen haben. Andererseits ist der Schlüssel hier nicht
die korrekte Schreibweise, sondern die verständliche Übermittlung einer Information. Ein weiteres Problem mit diesen Hilfsmitteln ist es, dass der Patient, wenn er nicht mehr sprechen oder seinen
Blick nicht mehr fokussieren kann, vermutlich nicht mehr die Fähigkeit zu einer gezielten Handbewegung besitzt. Trotzdem können die genannten Kommunikationshilfen für den Alltag zumindest eine
Zeitlang nützlich sein. Sofern man eine solche Tafel nicht selbst anfertigen möchte, kann man sie im Sanitätshandel kaufen. Information darüber für Deutschland findet man im
Hilfsmittelverzeichnis der GKV im Internet unter https://hilfsmittel.gkv-spitzenverband.de/hmvAnzeigen_input.action mit dem Stichwort Kommunikationshilfen. Die Kosten für dort aufgeführte
Mittel übernimmt die Krankenkasse. In Österreich findet man den Hilfsmittelkatalog bei der Österreichischen Gesundheitkasse unter: https://www.gesundheitskasse.at/cdscontent/?contentid=10007.828059&portal=oegkoportal.
7. Fazit
Der Verlust der Kommunikationsfähigkeit ist auf eine Vielzahl von – teils unabwendbaren – Einzelmerkmalen zurückzuführen. Dennoch: auch gegen scheinbar unüberwindbare Probleme kann etwas getan werden, um das Sprachvermögen möglichst lange zu erhalten. Wer jedoch zu dessen Bewahrung etwas unternehmen will, muss früh damit beginnen, bevor das Fortschreiten der Krankheit und die Ausprägung der kognitiven Störungen es unmöglich machen, Neues zu erlernen. Wenn es dennoch trotz aller Bemühungen Rückschläge gibt oder sich kein Erfolg einstellen will, sollte man nicht vergessen, dass man es mit einem Kranken zu tun hat, dass die Krankheit stetig fortschreitet, und dass sie sich morgen anders auswirken kann als heute. Vor allem sollte man bedenken, dass der Betroffene trotz der Verständigungsprobleme kein Kind ist, sondern ein Erwachsener – wenngleich mit begrenzter Erkenntnisfähigkeit. Er sollte mit Achtung behandelt werden und in seiner Gegenwart sollte nie so gesprochen werden, als ob er nicht anwesend wäre oder sich nicht an einem Gespräch beteiligen könnte, denn er bekommt es mit. Es ist wichtig, dem Kranken Zuwendung zu vermitteln, auch wenn das Kommunizieren nicht mehr einfach ist. Man kann ihn berühren, ihn in den Arm nehmen, ihm in die Augen sehen, ihn streicheln und ihn anlächeln. Es sei daran erinnert, dass der Krankheitsprozess zwanzig Jahre oder mehr dauern kann. Die Kommunikation lange aufrechtzuerhalten ermöglicht es dem Patienten, auch im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit mit Würde durch den Krankheitsprozess zu gehen. Dafür zu arbeiten, einem Huntington-Betroffenen das kostbare Geschenk der Kommunikation so lange wie möglich zu erhalten, ist demnach ein Ziel, das aller Mühen wert ist.
8. Weiterführende Information
- Zum Huntington-Ratgeber - dem kostenlosen Handbuch für den Umgang mit der Huntington-Krankheit - klicken Sie hier auf RATGEBER
- Zur Auswirkung der Huntington-Krankheit auf die gesamte Familie klicken Sie hier auf FAMILIE
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Autor: Ekkehart Brückner Stand: September2020